Wirtschaftspolitik: Magisches Viereck

Wirtschaftspolitik: Magisches Viereck
Wirtschaftspolitik: Magisches Viereck
 
Rationale Wirtschaftspolitik muss auf klar definierten Zielen basieren. In Deutschland sind im Stabilitätsgesetz von 1967 vier Ziele benannt worden, an denen sich die Träger der Wirtschaftspolitik zu orientieren haben: hoher Beschäftigungsstand (Vollbeschäftigung), stabiles Preisniveau, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum, die in ihrer Gesamtheit als magisches Viereck bezeichnet werden. »Magisch« bedeutet, dass die einzelnen Ziele durch die wechselseitige Abhängigkeit der gesamtwirtschaftlichen Variablen nicht gleichzeitig und vollständig zu erreichen sind (wirtschaftspolitische Zielkonflikte).
 
 Hoher Beschäftigungsstand
 
Dieses Ziel meint keineswegs eine Arbeitslosenquote von null Prozent. Ein Mindestmaß an Arbeitslosigkeit etwa aufgrund saisonaler Effekte (der Eisverkäufer ist im Winter arbeitslos) oder von Suchprozessen (ein Arbeitnehmer vergleicht verschiedene Arbeitgeber) ist weder vermeidbar noch negativ zu beurteilen. Angesichts der heutigen hohen strukturellen Arbeitslosigkeit verbunden mit der Langzeitarbeitslosigkeit bestimmter Gruppen (z. B. Ungelernte oder ältere Arbeitnehmer) wird dieses wirtschaftspolitische Ziel aber eindeutig verfehlt.
 
 Stabiles Preisniveau
 
Preisänderungen für Güter und Dienstleistungen sind in einer funktionierenden Marktwirtschaft unabdingbar, um Angebot und Nachfrage bei sich ändernden Bedingungen ins Gleichgewicht zu bringen. Das Ziel Preisniveaustabilität bezieht sich daher nicht auf die Preise einzelner Güter, sondern auf das allgemeine Preisniveau, wie es anhand von Preisindizes für die private Lebenshaltung gemessen wird. Das Preisniveau kann fallen (Deflation) oder steigen (Inflation). In beiden Fällen ist die Zielsetzung des Stabilitätsgesetzes verletzt. Allerdings ist umstritten, ob tatsächlich nur eine Inflationsrate von null eine Zielerreichung darstellt. Mit Verweis u. a. auf statistische Messprobleme wird im Allgemeinen eine Inflationsrate unter zwei Prozent bereits als Zielerfüllung gewertet.
 
 
Dieses Ziel dürfte im Rahmen des magischen Vierecks das Ziel sein, das am schwierigsten konkret zu definieren ist. Die Forderung etwa nach einem Ausgleich der Leistungsbilanz (gleicher Umfang von Exporten und Importen) ist nicht generell sinnvoll. Eine Wirtschaft mit einem Leistungsbilanzüberschuss exportiert Kapital in die Welt. Es ist unter globalen Effizienzgesichtspunkten wünschenswert, dass hoch entwickelte Industrieländer über Leistungsbilanzüberschüsse Kapital exportieren und dieses Kapital in Entwicklungsländer fließt, die dann spiegelbildlich Leistungsbilanzdefizite aufweisen. Wichtig ist aber, dass ein Leistungsbilanzdefizit finanzierbar bleibt. Außenwirtschaftliches Gleichgewicht lässt sich daher mit dem Erreichen einer langfristig tragbaren Leistungs- und Kapitalbilanzsituation umschreiben.
 
 Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum
 
Es ist unrealistisch, auch unter den günstigsten Voraussetzungen für Deutschland so hohe Wachstumsraten wie in den 50er- und 60er-Jahre zu erwarten. Gleichwohl versucht die Wirtschaftspolitik, durch Maßnahmen der Wachstumspolitik die Grundlagen für zukünftiges Wachstum zu verbessern und durch Maßnahmen der Konjunkturpolitik Schwankungen des Wirtschaftswachstums zu begrenzen. Mit der stärkeren Betonung der Umweltwirkungen des Wirtschaftens wird das Wachstumsziel weiter gefasst: Danach geht es v. a. um die Realisierung eines nachhaltigen Wachstums, das nicht durch Schadstoffbelastungen und Raubbau an endlichen Ressourcen (z. B. Erdöl, Erdgas) die Grundlage zukünftigen Wachstums vernichtet.
 
 Verteilungsgerechtigkeit
 
Neben des um die Idee der Nachhaltigkeit erweiter-ten magischen Vierecks spielt v. a. noch das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit eine große wirtschaftspolitische Rolle (magisches Fünfeck). Das Ziel einer gerechten Einkommens- und Vermögenspolitik belegt deutlich, dass wirtschaftspolitische Ziele oft durch allgemeinere gesellschaftspolitische Werturteile bestimmt werden. Der Ökonom ist als solcher nicht in der Lage, eine gerechte Einkommensverteilung zu quantifizieren. Die Definition von Gerechtigkeit muss in der politisch-gesellschaftlichen Diskussion erfolgen. Allerdings ist es Aufgabe der Wirtschaftswissenschaften, dabei auf mögliche Zielkonflikte hinzuweisen. Ein Konflikt kann etwa zwischen dem Verteilungsziel einerseits und dem Wachstums- und Beschäftigungsziel andererseits bestehen. Wird aus Gerechtigkeitserwägungen mittels Steuer- und Sozialpolitik die Einkommensituation der privaten Haushalte angeglichen, kann dies leistungshemmend wirken und zu einer Abnahme des Wirtschaftswachstums und steigender Arbeitslosigkeit führen.

Universal-Lexikon. 2012.

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